Es ist nicht alles Gold, was glänzt in Rio Dass die Cyclassics in Hamburg – mit dem neuen Sponsor EuroEyes – wieder ein großer Erfolg geworden ist, haben Hunderttausende von Zuschauern erneut gefeiert. Doch es gibt auch nachdenkliche Stimmen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat während der Olympischen Sommerspiele Traumquoten erzielt. Interessant ist, welche Sportarten und welche einzelnen Sportsendungen von den Zuschauern am meisten verfolgt wurden. Die Doping-Politik des IOC führt, so meint das Magazin stern, den Sport auf Dauer in eine gefährliche Glaubwürdigkeitskrise. Die Medien – und vorher schon sehr viele Menschen – könnten immer mehr das Interesse am Sportgeschehen verlieren. Auf die These des sterns, die frühere Doping-Politik von Teilen des Radsports hätte diese Sportart in Deutschland „fast vernichtet“, reagierte der Gold-Turner Fabian Hambüchen in einem Interview mit offenen Worten. Unbestritten: Die deutschen Radsportler haben nicht optimal im olympischen Rio abgeschnitten – die Medaillen-Zielvereinbarung zwischen DOSB und BDR konnte nicht eingehalten werden. Zu den Gründen gibt es interessante Kommentare. Die Medaillengewinner 2016 im Radsport – Kristina Vogel und Miriam Welte sowie ihr Trainer Detlef Uibel – sind vielen Menschen im Fernsehen namentlich bekannt geworden. In dieser Ausgabe der BDR-Nachrichten wird versucht, „Geschichten hinter den Geschichten“ hierzu zu erzählen: Es geht darum, das zu berichten, worüber sonst in den Medien selten oder nie etwas zu lesen, zu hören oder zu sehen ist. Dass die Sportförderung in Deutschland verbessert werden muss – natürlich auch im Radsport –, das bestreitet kaum noch jemand. Hier lohnt ein Blick nach Großbritannien: Über die dortige Sportpolitik werden die BDR-Nachrichten in der nächsten Ausgabe berichten. In Rio ist längst nicht alles Gold, was glänzt. Das wird dem Besucher klar, wenn er sich in der brasilianischen Riesen-Metropole umschaut. Hinter den Kulissen haben an Olympia die verdient, die in Rio immer schon extrem viel verdient haben.
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Viel Begeisterung, aber auch nachdenkliche Stimmen
Hamburg hat einmal mehr seinen „Ruf als Radsport-Metropole untermauert“ (dpa). Meist gutes Wetter, „große Starterfelder, Topstimmung und ein packendes Finale“ (Hamburger Morgenpost): Die 21. Auflage war für alle ein voller Erfolg. Doch es gab auch nachdenkliche Stimmen. 17 000 Hobbyradler hatten sich schon vor den rund 170 besten Straßenprofis aus aller Welt auf den Weg gemacht. Drei unterschiedliche Distanzen standen für die Jedermänner zur Auswahl – 60, 100 und 160 Kilometer. Schon morgens um 7.30 Uhr waren die ersten Hobbyradler bei zunächst fast kühlem, aber sonnigem Wetter gestartet. Hunderttausende Zuschauer säumten insgesamt die Straßen – in und um die Weltstadt-Metropole Hamburg. Jens Nielsen aus Kopenhagen, der bereits zum 15. Mal an dem Radrennen in der Hansestadt teilgenommen hat und dieses Mal wieder die 100 Kilometer absolvierte, „schwärmte anschließend von der Veranstaltung“ (Die Zeit): "Es ist eine tolle Atmosphäre hier, wenn morgens die Sonne aufgeht. Und dann ist die große Anzahl der Fahrer Klasse." Der 54 Jahre alte Däne lobte zudem die Streckenführung als "top in Nordeuropa"; er übte aber auch Kritik: "In den vergangenen Jahren ist die Anmeldung hier leider komplizierter geworden." "Es ist herrlich, hier sind alle voller Adrenalin. Man sieht überall glückliche Gesichter. Und es ist eine tolle Stimmung", sagte Jörn Jörgensen. Der Chef des neuen Titelsponsors EuroEyes absolvierte selbst die 60-Kilometer-Runde. ARD-Tagesschau-Sprecher Thorsten Schröder zum Beispiel wagte sich dagegen auf die 100 Kilometer lange Strecke und erreichte nach 2:30:34 Stunden stolz das Ziel auf der Mönckebergstraße. Zusätzlich zum klassischen Sport-Programm konnten die vielen Zuschauer einmal mehr eine umfangreiche Informations- und Technik-Messe besuchen. Auch der BDR war an zwei Tagen mit einem Info-Zelt vertreten. Bei den Profis – längst war es ziemlich warm geworden – hieß inoffiziell am Schluss der Sieger Nazer Bouhani (Frankreich). Aber der wurde von der Jury wegen eines Schlenkers beim Schluss-Sprint disqualifiziert. Sieger war nun Caleb Ewan (Australien). Zweiter wurde John Degenkolb, dem seine strahlende Frau gratulierte, die extra aus Hessen zu den Cyclassics angereist war. Alles in allem ein „gelungener Neustart“ (Bild-Zeitung). Der neue Renndirektor Michael Haas von der Sportagentur „Ironman“ zeigte sich besonders begeistert („Ich bin geradezu geflasht“) nach der Premiere des neuen Titel-Sponsors EuroEyes, mit dem es einen Renn-Vertrag bis 2017 gibt. Indes gab es jedoch auch nachdenkliche Stimmen. Radsport-Experten wie Achim Leoni vom Hamburger Abendblatt beobachten bei den Jedermännern eine Stagnation der Teilnehmer-Anmeldungen. Gründe: Viele Hobby-Radler fürchten Sicherheits-Defizite, etliche Jedermänner können nicht gut in der Gruppe fahren – es fehlt oftmals das Können für das gerade Fahren im Windschatten. Kollisionen sind nicht selten die Folge. Allerdings berichtete der Pressesprecher der veranstaltenden Sportagentur „Ironman“, Reinald Achilles, dass es in diesem Jahr unter den Hobby-Radlern „einen historischen Tiefstand“ von Stürzen gegeben habe. Der Einsatz von Sicherheits-Guides hat sich wohl gelohnt. Es gibt auf dem Feld der Massensport-Veranstaltungen heute viel Konkurrenz – etwa durch die Triathlon-Events. Gerade die Radsportveranstalter wünschen sich, dass noch mehr junge Fans an den Jedermann-Events teilnehmen. Sehr beklagen Radsport-Veranstalter, dass heuer wieder das regionale NDR-Fernsehen – ganz zu schweigen von der überregionalen Schiene der ARD und vom ZDF – auf live gesendete bewegte Bilder verzichtet hat. Sportarten, die im Fernsehen kaum oder gar nicht vorkommen, laufen leicht Gefahr, am Ende zu verkümmern. Die Radsportler bundesweit haben sich freilich darüber gefreut, dass der Spartensender Sport1 einen mehrstündigen Schlussteil des Profi-Rennens Cyclassics direkt übertragen hat und dass Eurosport immerhin am Abend eine längere Zusammenfassung des gegenwärtig einzigen deutschen WorldTour-Rennens brachte. |
Deutschsprachige Fernseh-Sendungen
Bei den Sportarten war der Moderne Fünfkampf im Fernsehen besonders erfolgreich – ganz im Gegensatz zum Schwimmen. Bei den erfolgreichsten Einzel-Sportsendungen glänzte der Beach-Volleyball. Der Radsport schlug sich wacker. Tatsächlich erzielten die TV-Übertragungen des Modernen Fünfkampfs tolle Quoten. Dabei profitieren die Fünfkämpfer besonders von denen für deutsche Verhältnisse gut zeitlich gut gelegenen Übertragungszeiten ihrer Wettkämpfe. „Günstig auch der Umstand, dass man während den Halbzeitpausen anderer Großereignisse, wie dem Duell der Hockey-Damen (Deutschland-Neuseeland) oder der Handball-Herren (Frankreich-Deutschland), mit Fünfkampf füllen konnte (media control). Die deutschen Schwimmer rutschten dagegen sehr oft ins Nachtprogramm, wodurch der Durchschnittswert hier verhältnismäßig niedrig ausfiel. Die Übertragungen der Wettbewerbe von den deutschen Seglern wurden sogar ausschließlich zur nächtlichen Stunde gesendet, das hatte eine sehr geringe durchschnittliche Sehbeteiligung von 0,19 Millionen Zuschauern zur Folge. Betrachtet man die stärksten Einzel-Sendungen, zeichnet sich ein völlig anderes Bild ab. Hier verzeichnen die Beachvolleyball-Partien der deutschen Damen absolute Spitzenwerte. Bei den Sportarten gewann mit einem Durchschnittswert von 5,11 Millionen Zuschauern der Moderne Fünfkampf die mediale Goldmedaille – vor Kanuslalom (4,94), Kunstturnen (4,63), Kunst- und Turmspringen (4,34), Schießen (4,36), Tennis (3.99), Fußball (3,90), Triathlon (3,80). Judo (3, 64) und Handball (3,63). Auf den 11. Rang kam der Radsport (3,63) – vor Reiten (3,59) und Boxen (3,20). Auf den hinteren Rängen landeten Schwimmen (33. Platz; 1,54), Volleyball (34.; 1,48) und Segeln (35.; 0,95). Bei den Einzel-Sportsendungen ergab sich ein anderes Bild. Auf Platz 1 gelangte das Beachvolleyball-Spiel der Frauen (BRA–GER; Sendung vom 16.8.16; 8,55 Millionen Zuschauer). Dann folgten das Fußballspiel der Männer BRA–GER (20.8.; 8,25) und das Fußballspiel der Frauen CAN–GER (16.8.; 7,22). Auf dem 4. Rang war das Bogenschießen vom 11.8. (7,52). Der Radsport besetzte den 9. Platz (16.8.; ab 21.14 Uhr; 6,87) – vor der Kunst- und Turmsprung-Sendung vom 16.8. (6,84). Auf die Ränge 18, 19 und 20 kamen Badminton (1.8.; 6,34), Schwimmen (12.8.; 6,05), Reiten (11.8.; 5,90) und das Kunst- und Turmspringen vom 16.8. (5,90). Quellen: media control; AGF in Zusammenarbeit mit der GfK/TV Scope/media control |
Nachlese: Offene Worte
Ein langes und interessantes Interview hat der stern mit dem Olympia-Sieger Fabian Hambüchen nach den Sommerspielen geführt. Es ging auch um die „katastrophale Organisation“ der Spiele in Rio und um die Frage, ob sich das IOC mit seiner umstrittenen Doping-Politik in eine ähnliche Sackgasse manövriere, wie es vor einiger Zeit Teile des internationalen Radsports getan hätten. Der „Gold-Turner“ (stern) hat die ihm gestellten Fragen mit entwaffnender Offenheit beantwortet. Die Zurückhaltung, die zum Beispiel die Radsportler in Rio zumeist gepflegt haben, ist Hambüchen nach den Spielen fremd. Scharf kritisiert er die Organisation und die Infrastruktur in Rio: „Ich habe keinen Tag erlebt, an dem es im Olympischen Dorf sauber war. Wir mussten das Toilettenpapier in den Mülleimer werfen, weil sonst die Rohre verstopfen. Und dieser Eimer wurde nur alle paar Tage geleert.“.“ Und die hygienischen Probleme seien auch anderenorts krass gewesen. „Das Wasser der Schwimmer wird plötzlich grün, und dann kriegen alle eine Bindehautentzündung.“ Zur Organisation sagt Hambüchen: „Am Anfang wusstest du nicht, wie du überhaupt zum Training kommst.“ Oft hätten die Fahrstühle nicht funktioniert. „Wir trainieren ein Leben lang darauf hin, dieses dicke Ding zu reißen. Da muss alles klappen.“ Zur Frage der Doping-Politik des IOC gegenüber Russland äußert Fabian Hambüchen teils Verständnis für den Präsidenten Thomas Bach. Er könne einerseits verstehen, dass Bach „nicht alle sperren wollte, weil es sicher ein paar Sportler gibt, die nicht unter das Staatsdoping fallen“. Andererseits hält er die Entscheidung, auch Julija Stepanowa – die genau dieses Doping-System entlarvt habe –, zu sperren, für völlig falsch. Sie sei die Einzige gewesen, „die sich ethisch korrekt verhalten hat“. Die Entscheidung des IOC „war definitiv ein falsches Signal für alle Whistleblower und jene, die die sich mit dem Gedanken tragen, auszupacken“. Auf die These des sterns, die Glaubwürdigkeit des Sports leide unter der Taktik des IOC, in Sachen Doping-Politik „auf Zeit zu spielen und darauf zu setzen, dass die öffentliche Empörung übers Doping abnimmt“, erwiderte Hambüchen: „Das hängt von uns Athleten ab. Wir dürfen das nicht einfach über uns ergehen lassen.“ Grundsätzlich ist Hambüchen der Meinung: „Wenn wir so weitermachen, dann heißt es: Die schmeißen doch alle was ein, die sind alle gedopt.“ Ohnehin hätten die allermeisten „olympischen Sportarten nur eine sauwenige Medienaufmerksamkeit“. Den Rest dürfe man „nicht verspielen“. Darauf konfrontierten die stern-Reporter den Top-Athleten mit der Meinung, es gebe „ja abschreckende Beispiele wie den Radsport, den die vielen Dopingskandale in Deutschland fast vernichtet haben“. Fabian Hambüchen war ob dieser Positionierung offenbar nur kurz verwirrt – und sagte dann: „Der olympische Sport wird nicht von heute auf morgen sterben, dazu lieben ihn viel zu viele Menschen. Aber wenn das so weitergeht, werden wir viele Fans verlieren.“ |
Zum siebten Mal bei Olympia dabei Zum Beginn dieses olympischen Jahres feierte Detlef Uibel sein 25-jähriges Dienstjubiläum als Kurzzeit-Trainer des BDR. Die Grundlagen seines überragenden Könnens sind in der Zeit der DDR gelegt worden. Mit den beiden von Kristina Vogel und Miriam Welte nun in Rio gewonnenen Medaillen feiert er einen weiteren Höhepunkt seiner großen Karriere. In Rio hat es für den 57-jährigen Uibel die siebten Sommerspiele als Trainer gegeben, beim ersten Mal war er als noch als Heimtrainer tätig. Der Brandenburger ist „DIE Konstante“ (Bild-Zeitung) im Kurzzeit-Bereich des deutschen Bahn-Radsports. Währende andere Vereine oder Verbände ihre Trainer fast im Jahresrhythmus wechseln, feierte der frühere WM-Dritte Anfang des Jahres sein 25-jähriges Dienstjubiläum. BDR-Sportdirektor Patrick Moster ist voll des Lobes über den dienstältesten und erfolgreichsten Trainer des BDR: «Wir arbeiten sehr gerne mit ihm zusammen. Die Arbeit mit Detlef ist sehr gewinnbringend.“ Die Bild-Zeitung hat es auf ihre Weise auf den Punkt gebracht: „Auch wenn seine Menschenführung nicht unumstritten ist, seine Erfolge sind es.“ Denn der 56-Jährige ist ein Mann der klaren Worte. Seit Jahren fordert Uibel eine Strukturreform im Bahn-Radsport, aber er selbst weiß, dass seine Vorstellungen von einem zentralisierten Rad-Training für den Spitzen-Leistungssport nach dem Vorbild Großbritanniens in dem politisch wie auch sportstrukturell föderal gegliederten Bundesrepublik nur schwer umzusetzen sind. Großbritannien ist politisch nicht durch Föderalismus, sondern durch ein zentralisiertes Regierungssystem gekennzeichnet. Damit einher gehen dort auch die zentralisierten sportlichen Strukturen. Der Dreh- und Angelpunkt des Radsports ist im United Kingdom seit einiger Zeit die Region Manchester. Die Erfolge für die britischen Rennfahrer in Rio de Janeiro waren überragend, ja fast erdrückend. Uibel selbst weiß, dass es im Föderalismus von Deutschland vor allem auch an Geld fehlt – das Geld, das dem Verband British Cycling seit der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Hülle und Fülle zur Verfügung steht. Gelder kamen und kommen dort vor allem vom Staat und der staatlichen Lotterie. Doch zurück zur Geschichte von Detlef Uibel. Er hatte ab dem 1. Januar 1991 zunächst die Frauen, Junioren und Juniorinnen unter seiner Obhut, dann übernahm er im Oktober 1996 den Posten als verantwortlicher Trainer im Elitebereich. Und das ist er heute noch. In einem Interview mit rad-net hat Uibel kürzlich erzählt, wie er das letzte Vierteljahrhundert als Bundestrainer erlebt hat. Auf die Frage, ob er vor 25 Jahren gedacht habe, dass er 2016 immer noch im Amt des Bundestrainers sein würde, erwiderte er: „Das hätte ich sicherlich nicht gedacht! Es war Anfangs eine sehr schwere Zeit, da man sich in ein völlig anderes System integrieren musste. Die Tatsache, dass der Sprint in der damaligen DDR sehr viel populärer und erfolgreicher als in der damaligen BRD war, war sicherlich ein großer Vorteil. Durch meine sportliche Laufbahn und mein Studium an der DHfK Leipzig brachte ich sicherlich viel Erfahrungen und Wissen mit, was auch schon in den Juniorenklassen erfolgreich umgesetzt werden konnte.“ Anfänglich haben ihn wohl auch die sehr kurzen Arbeitsverträge mit dem BDR genervt. Am Anfang, erzählte er, habe es nur Zweijahresverträge gegeben. Somit war eine „längerfristige Perspektive nicht erkennbar“. Ab 1996 allerdings „gab es dann Vierjahresverträge, die bis heute noch Bestand haben“. Seine erste WM als Trainer bei den Junioren-Wettbewerben hat er nicht vergessen. „Meine erste WM als Junioren-Bundestrainer war 1991 die Junioren-Weltmeisterschaften in Colorado Springs. Das war die erste WM einer gesamtdeutschen Mannschaft. Es war eine sehr erfolgreiche WM für die gesamte Mannschaft und es war eine super Stimmung im Team. Viele der damals erfolgreichen Junioren waren dann auch später im Elitebereich sehr erfolgreich, wie Danilo Hondo, Olaf Pollack oder Ina-Yoko Teutenberg.“ Uibel sagt, es habe damals „keinerlei Berührungsängste zwischen den Sportlern und auch Betreuern“ gegeben. „Bei den Lehrgängen im Vorfeld hatte man sich kennengelernt. Dabei hatte ich großes Glück, dass ich mit Robert Lange einen Kollegen aus dem Bahnausdauer-Bereich kennengelernt habe, mit dem ich auch bis zu seinem tödlichen Unfall im Frühjahr 2000 sehr eng befreundet war.“ Doch der Druck sei sehr groß gewesen – „aber in erster Linie durch mich selbst“. „Ich war sehr aufgeregt und konnte kaum schlafen. Was aber teilweise heute noch so ist.“ Die schönsten Erlebnisse im Sport als Trainer? „Der Olympiasieg 2004 in Athen im Teamsprint der Männer war sicherlich das Highlight. Aber auch der dreifache Titelgewinn von Kristina Vogel 2014 bei der WM in Cali gehört dazu. Das sind sicherlich einmalige Ergebnisse, die sich nicht so einfach wiederholen lassen.“ Worauf er heute besonders stolz ist? Detlef Uibel bekennt: „In erster Linie darauf, dass es mir gelungen ist, viele Tugenden, die wir aus DDR-Zeiten kannten, auch in das neue System zu integrieren. Wie Anerkennung der allgemeinen Trainingsprinzipien, Planungssicherheit, Konsequenz bei der Umsetzung, Disziplin, und so weiter. Aber auch das jetzt vorhandene Stützpunktsystem im Kurzzeitbereich mit den entsprechenden Stützpunktrainern zählt dazu.“ Rein sportlich gesehen freue er sich enorm darüber „dass es in meiner gesamten Tätigkeit kein Jahr gab, wo wir keine Medaille gewonnen haben“. Das bedürfe „aber auch ein großes Dankeschön an die Heimtrainer, die hervorragende Arbeit leisten“. |
Duale Karriere Wie ist Miriam Welte zum Radsport gekommen und wie sieht ihre Zukunft aus? Miriam Welte ist eine große Rennfahrerin. In Rio holte sie gemeinsam mit Kristina Vogel eine Bronzemedaille. Dass sie – und damals auch ihre Schwester Hannah – einst überhaupt den Weg zum Radsport gefunden hat, verdankt sie wohl einer Schulfeier in Rheinland-Pfalz. Und das ging so: Bei einer Schulfeier lernte die Mutter Miriams, Alexandra, den Lehrer Frank Ziegler kennen – der in Rheinland-Pfalz auch Rad-Landestrainer ist –, kennen und schnell lieben. Beide heirateten wenig später. Bald erklärte die 15-jährige Tochter Miriam, „bis dahin eine durchaus talentierte Leichtathletin“ (DOSB-Magazin Sportdeutschland), ihrem Stiefvater, sie wolle auf die Rennbahn. Frank Ziegler – zu DDR-Zeiten in Gera Sichtungstrainer – erkannte schnell die Talente seiner Stieftochter; er lehrte sie, richtig in die Pedale zu treten. Ein Jahr später ist Miriam Welte tatsächlich bereits Dritte geworden – bei der Deutschen Meisterschaft. 2003 schon fuhr sie zur WM Junioren, ein Jahr später folgt der erste Meistertitel. Auch Schwester Hannah versuchte sich, zwei Jahre später als Miriam, auf dem Rad und schaffte es immerhin bis auf Rang zehn bei einer WM Juniorinnen. Dann aber hörte sie auf, ganz im Gegenteil zu Schwester Miriam. Die startete durch. Und gewann später Gold im olympischen London, von etlichen anderen Medaillen gar nicht erst zu reden. Die 29-Jährige aus Kaiserslautern hat in Rio de Janeiro gemeinsam mit Kristina Vogel Bronze im Teamsprint gewonnen. Eine von zwei Medaillen, die der BDR bei Olympia errungen hat. Von 2012 bis 2014 dominierte das kongeniale Duo Vogel/Welte die Weltspitze im Teamsprint, fuhr zum Olympiasieg und zu drei WM-Titeln in Folge. „Nach zwei schwächeren Jahren“, schrieb der BDR-Medienservice, zeigte „die Form-Kurve nach WM-Platz vier im Jahr 2015 und WM-Bronze 2016 rechtzeitig wieder nach oben“. Maßgeblichen Anteil am Aufschwung hat auch Miriam Welte, die in Rio die zweiten Olympischen Spiele ihrer Karriere erlebt hat. Die 29-Jährige vom 1. FC Kaiserslautern zählt wieder zu den weltbesten Fahrerinnen auf den ersten 250 Metern. „Ich habe nach der WM im März keine Pause gemacht und richtig hart gearbeitet, um die Defizite aus dem Winter aufzuholen. Ich war viel auf der Straße und im Kraftraum“, erklärt Anfahrerin Welte. Und die Schufterei auf dem Rad und mit den Gewichten hat sich ausgezahlt. Sie sagte, sie habe schon „beim Großen Preis von Deutschland Anfang Juni in Cottbus deutlich gesehen, dass es vorwärts geht.“ Bestätigung und Zuspruch bekommt Welte, die 2014 auch WM-Gold im nicht-olympischen 500-Meter-Zeitfahren gewonnen hat, von BDR-Trainer Detlef Uibel. „Miriam ist ganz klar wieder auf dem aufsteigenden Ast“, lobt der Bundestrainer. Seit fast zehn Jahren arbeitet er mit der Pfälzerin erfolgreich zusammen. „Miriam Welte hat sich seit 2010 auf die Anfahrtsschiene konzentriert und sich bis zu den Olympischen Spielen in London rasant entwickelt. Das Niveau hat sie zwei Jahre gehalten. Danach gab es aber einige Rückschläge.“ Seit der WM ist Welte aber immerhin gesund geblieben, das gab ihr Zuversicht. Mit dem Thema Olympia will Miriam Welte nun anscheinend abschließen: „Wahrscheinlich ist es so, dass ich in Tokio nicht mehr dabei bin", sagte die Olympia-Dritte von Rio im Deutschen Haus. "Ich bin die Oma bei uns mit 29, da lachen wir immer schon." Auch für die Zeit nach ihrer Aktiven-Karriere hat sie gesorgt: Inzwischen ist sie Polizeikommissarin bei der Landespolizei von Rheinland-Pfalz. Die Polizei hat sie für ihr sportliches Programm derzeit weitgehend frei gestellt. Vor diesem Hintergrund verfügt sie seit Jahren über den materiellen Hintergrund, der notwendig ist, frei von Geldsorgen ihren hochkarätigen Weg als Radsportlerin zu gehen. Im Staatsdienst bekommt sie später gute Chancen, eine zweite Karriere zu absolvieren, diesmal in einem „normalen Beruf“ … Foto: Miriam Welte (beim Empfang der Olympioniken 2012 im Hamburger Rathaus) |
Partnerin von Miriam Welte Kraftwerk auf Rädern: Olympia-Siegerin Kristina Vogel – mit 1,60 Meter riesengroß Wer ist diese kleine Frau („Kristina de Janeiro“), die gebürtige Kirgisin mit den überaus athletisch geformten Schenkeln, mit dem verschmitzten Lächeln und dem schelmischen Augenaufschlag – diese extrovertierte Frau, die freilich eines meist gar nicht gut verträgt: Widerspruch. Selbstzweifel plagen die Goldmedaillen-Gewinnerin, die in Personalunion auch (Sport-)Polizistin ist, jedenfalls nicht. Oft wurde sie vor Rio gefragt, wie viele Medaillen es denn heuer werden würden bei den Spielen. Ihre kecke Antwort: „Wenn es nach mir geht: dreimal Gold!“ Demütige Zurückhaltung – das ist ihre Sache nicht so sehr. Aber auch Sportjournalisten nehmen ihr diese kessen Sprüche nicht weiter übel. Anno Hecker etwa schreibt mit viel Verständnis: “Nicht mit frech-dreistem Ton formuliert, auch nicht getragen von einem unterkühlt selbstsicheren Blick“ – das Dreiste sei nun mal ihre „persönliche Art von Optimismus“. Understatement hat Kristina Vogel eben nicht auf ihre Fahnen geschrieben. Kristina Vogel ist eine der besten Rad-Athletinnen dieser Welt, eine Rennfahrerin, die von ihrem BDR-Trainer Detlef Uibel mit dem ihm eigenen Duktus mit nur einem Wort charakterisiert wird: Sie sei einfach „Weltklasse“. Er lobte dann doch noch mit mehreren Sätzen: „Ich habe es oft scherzhaft gesagt: Kristina ist unser bester Mann. Das sagt eigentlich alles. Sie ist robust, nicht nur körperlich, sondern auch vom Kopf her. Für uns ist es ein Glücksfall und mit ihrer Art bereichert sie hier die Szene.“ Nach Rio ist sie als eine Topfavoritin gekommen, die FAZ sprach fast prophetisch von der „Gejagten“. Denn alle Augen waren stets auf sie gerichtet, die die großen Medaillen-Hoffnungen auch des BDR natürlich auch tunlichst erfüllen sollte. Vogel irritiert so etwas nicht, im Gegenteil: In dieser Rolle fühlt sich sogar „pudelwohl“ (Anno Hecker). Solche sehr hoch gesteckten Erwartungen werden häufig dann doch nicht voll erfüllt. Das wurde schon am Anfang deutlich. Im Team-Sprint sollten die „Golden Girls“ (Hamburger Morgenpost) – also Kristina Vogel und ihre engste Sport-Partnerin Miriam Welte – ihren Titel verteidigen. Doch die Chinesinnen und Russinnen fuhren ganz hervorragend. So mussten sich die beiden Deutschen mit einem minimalen Vorsprung von O,022 Sekunden vor den Australierinnen mit der Bronze-Medaille zufrieden geben. Bei der olympischen Siegerehrung kamen Vogel dann doch noch die Tränen. Sie scheint sensibler gestrickt zu sein, als Viele meinen. Es kam freilich noch viel schlimmer. Im Keirin endete sie zuletzt deutlich abgeschlagen – auf dem sechsten Rang. Da hatten auch die grell lackierten Fingernägel nicht allzu sehr geholfen. Dass Miriam Welte noch schlechter abschnitt (Platz 25), war alles andere als ein Trost. In Zukunft gilt es, mehr für den Bahn-Radsport zu tun. Trainer Uibel hat es so formuliert: Die Keirin-Rennen zum Beispiel seien schon sehr spannend, die Athleten austrainiert und die Stimmung mitreißend. „Aber wenn nicht gerade Olympia vor den Fernseher lockt, dann kreist die Szene unter sich.“ Uibel: „Man muss umdenken, wenn man den Bahnradsport retten will. Da muss der internationale Verband mehr Geld reinstecken in die Modernisierung.“ Vogel hat Geld. Sie ist als Polizistin (Polizeimeisterin in der Besoldungsgruppe A 7) vergleichsweise gut versorgt. Und sie hat vor einiger Zeit eine ganz besondere Sonder-Summe erhalten: 100.000 Euro. Aber leider war das keine Belohnung für ihre sportlichen Spitzenleistungen, sondern eine Schadensersatzzahlung des Freistaates Thüringen nach einem furchtbaren Unfall: Ausgerechnet ein Zivil–Fahrzeug der Landes-Polizei hatte die heutige Bundes-Polizistin beim Training überfahren. Von dieser schrecklichen Geschichte aus dem Jahre 2009 will Vogel lieber nichts mehr hören. Das Geld hat sie auch in ihr neues Haus in Windischholzhausen (bei Erfurt) gesteckt, das sie zusammen mit ihrem Lebenspartner Michael Seidenbecher baut. Das Schicksal wollte es, dass auch Seidenbecher heute als Bundespolizist (Kommissar) arbeitet und dass er ebenfalls mal ein recht guter Bahn-Sprinter gewesen ist. Nein, an den Unfall 2009 denkt Kristina Vogel kaum noch. Sie „verlacht die Narben im Gesicht“ (FAZ), wenn sie in Rio begeistert auf das glänzende Holz aus dem fernen Sibirien guckt: „Es macht so viel Spaß, auf der Bahn zu fahren, das Tempo zu genießen.“ 60 Kilometer pro Stunde und mehr fährt sie – und dies bekanntlich ohne Bremsen. Aus Sicherheitsgründen. Weil bei der notwendigen Millimeterarbeit im Windschatten jede unerwartete Verzögerung zu schweren Stürzen führen kann. Mit großem Ehrgeiz ging sie in das für sie letzte Rennen in Brasilien. Zum Höhepunkt aller Höhepunkte wurden die Sprinter-Wettbewerbe. Als hier Kristina Vogel im letzten und entscheidenden Rennen mit dem minimalsten aller minimalen Vorsprünge (vier Tausendstelsekunden) die Britin Rebecca James bezwungen hatte – obwohl sie am Schluss sogar noch ihren schwarz-rot-gold gefärbten Sattel auf der Bahn verlor(!) –, da hatte sie endlich das ersehnte Gold erkämpft. Da gab’s kein Halten mehr. Vom Rad ohne Sattel gestiegen, ließ sich die Olympiasiegerin rückwärts auf die Bahn fallen. Bundestrainer Detlev Uibel, sonst nach außen hin eher selten ein Opfer überschäumender Gefühlsäußerungen, beugte sich über die auf dem Rücken liegende Gold-Gewinnerin und herzte sie, Kopf an Kopf, schier überbordend. Gleich anschließend erklomm Kristina Vogel barfuß die Olympia-Bahn nach ganz oben, um sich dann selig in die Arme ihres Freundes Seidenbecher endlich fallen zu lassen. So sieht echte Freude aus. Später sagte sie: „Der Sprint ist die Königsdisziplin, das macht mich so, so stolz.“ „Schon mit gerade einmal 25 Jahren ist sie bereits eine der größten Sportlerinnen ihrer Sparte“ (dpa). Zwei Olympiasiege und sieben Weltmeistertitel hat sie bereits geholt. Doch sie will mehr: «Ich will die beste Bahnradsportlerin aller Zeiten werden», sagt sie stets. Und so blickte sie bereits in Rio schon wieder nach vorn – nicht zuletzt nach Rio: „Mehr geht immer“, meint sie. Foto: Kristina Vogel |
Hinter den Kulissen Rio: Ein Bürgermeister, ein MTB, ein Velodrom, ein Fahrradweg – und ganz viel Profit für die Superreichen Der Bürgermeister von Rio de Janeiro, Eduardo Paes, hat ein eigenes MTB, damit ist er öfter mal öffentlichkeitswirksam unterwegs – besonders dann, wenn es darum geht, die neuesten Errungenschaften der Stadt möglichst vielen Medienvertretern zu präsentieren. Ungern gibt er die riesigen Probleme zu, die Rio nachhaltig kennzeichnen. Gern zeigt Paes etwa das neue, prächtige olympische Velodrom, obgleich Kritiker die hohen Ausgaben für die Radrennbahn deshalb kritisieren, weil es in Brasilien – ganz im Gegensatz etwa zum südamerikanischen Kolumbien – praktisch keine brasilianischen Bahnfahrer gibt. Die Gelder, so sagen mindestens einige Beobachter, die mit Radsport nichts am Hut haben, fehlten zum Beispiel bei der Verbrechensbekämpfung: Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2016 hat es in Rio 2.400 Mord-Opfer gegeben. Die Polizei ist weitgehend nicht in der Lage, eine effektive Bekämpfung der Kriminalität zu sichern. Ein anderes Prestigeobjekt Paes’ ist der neue, kilometerlange und bombastische Fahrradweg, der öffentlichkeitswirksam erbaut wurde – dann über dem Meer einstürzte und zwei Passanten in den Tod riss. Natürlich fragen sich Experten, wie es zu einer solchen Fehlkonstruktion kommen konnte. Kritische Medien haben zum Beispiel vermeldet, dass ausgerechnet auf dem Sechs-Millionen-Quadratmeter-Grundstück des in Rio bekannten Baulöwen Carlos Carvalho das Olympische Dorf und der Veranstaltungspark errichtet wurden. Nach Beendigung der Spiele sollen die olympischen Apartments profitreich verkauft werden – durch die Bau- und Immobilienfirma Carvalhos, der jetzt schon sarkastisch „Herr der Ringe“ (Wirtschaftswoche) genannt wird. Pikant auch: Zwölf Milliarden Euro sind wohl für Olympia investiert worden. Es profitieren davon auf Dauer vor allem diejenigen wenigen Superreichen, die „in Rio immer schon profitiert haben“ (Wirtschaftswoche). Ein Profiteur ist pikanterweise auch der Beigeordnete Paes’ für den regionalen Tourismus, dessen Familie ein sehr großes Bauunternehmen gehört. Interessant ebenfalls, dass es ein offenes Geheimnis ist, dass Eduardo Paes bei den nächsten Präsidentschaftswahlen kandidieren will: für das höchste politische Amt in Brasilien. Bei Olympia läuft er sich schon mal warm. Illustration: Wappen von Rio de Janeiro |
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